Journalismus verstehen

Selbst wenn Medienschaffende unserer (oder anderer) Meinung sind, können sie nicht immer schreiben, worüber und wie sie wollen. Wer das versteht, kann besser mit ihnen zusammenarbeiten.

  • Zeit, Zeit, Zeit  – Nachrichtenredaktionen kämpfen stets mit engen Deadlines, müssen schnelle Entscheidungen treffen und haben keine Zeit zu verlieren. Sie arbeiten unter ständigem Termindruck, daher sollten wir nicht ihre Zeit verschwenden. Nur selten bleibt Zeit für eingehende Recherchen, daher werden sie sich meist nicht tiefer in euer Thema einarbeiten.  Ihr müsst ihnen einen guten Überblick geben – auch über die Meinung eurer Gegner*innen –, damit sie alle Fakten einordnen können.
  • Redaktionen Journalistinnen und Journalisten entscheiden nicht selbst über ihre Artikel. Meist wird in der Redaktion entschieden, was in die Zeitung kommt, und die hat möglicherweise politische Vorlieben und Abneigungen.  Die Medien machen einen Großteil ihres Geldes mit Werbung und manche Redaktionen achten darauf, Inserenten (etwa mit einem Artikel) nicht zu verärgern, weil dies die Einnahmen schmälern könnte.
  • Aktuelles, keine Probleme – Selbst wenn sich Reporter*innen für ein Problem oder ein Thema interessieren, können sie nicht darüber berichten, solange es keinen aktuellen Aufhänger dafür gibt. Sie tun sich sehr schwer, über Zukünftiges zu berichten (der Klimawandel wird schlimmer), ohne an ein aktuelles Ereignis anzuknüpfen. Medienschaffende, und ganz besonders die Verfasser*innen von Blogs und Tweets, haben großes Interesse an brandaktuellen Neuigkeiten. Nichts ist so alt wie die Nachricht von gestern. Ihr solltet euch daher immer wieder neue Taktiken und Ansätze überlegen, Reporter*innen auf euch aufmerksam zu machen. (So machen eure Aktionen SCHLAGZEILEN)
  • Wenig Platz/ZeitBis auf wenige Ausnahmen (bestimmte Zeitschriften-Autoren und -Autorinnen, längere Fernsehsendungen) haben Medienschaffende nur begrenzten Platz zur Verfügung. Probleme müssen daher vereinfacht werden.  Und da nicht davon auszugehen ist, dass die Hintergrundgeschichte allgemein bekannt ist, müssen die ganze Kampagne und die Geschichte dahinter stark komprimiert werden.  Geschichten zu vereinfachen ist notwendig für die journalistische Arbeit
  • Zu viele Themen Medienschaffende sind sehr beschäftigt und arbeiten an sehr, sehr vielen Geschichten gleichzeitig. Sie können sich also nicht voll und ganz euch und eurer Story widmen.
  • Die Zielgruppe – Zeitungen wenden sich an eine breit gefächerte Leserschaft. Deren Wissen über euer Thema ist ganz unterschiedlich und die Artikel müssen für alle verständlich sein. Das bedeutet oft eingängiges Schreiben auf sehr einfachem Niveau.  Dabei müssen jedes Mal alle Grundgedanken eurer Kampagne erklärt werden.
  • Geringe RessourcenMedienschaffende haben meist nur sehr wenig Zeit und Mittel, um zu recherchieren oder Fakten zu überprüfen. Das kann von Vorteil für euch sein, wenn Reporter*innen euch als zuverlässige Quelle einschätzen und euren Angaben vertrauen. Das bedeutet, dass ihr euch als vertrauenswürdig erweisen und ihnen gegenüber stets sachlich und präzise sein müsst. Es bedeutet aber auch, dass sie vielleicht auch anderen Quellen glauben, die etwas anderes behaupten.

 

In bestimmten politischen Situationen stoßt ihr vielleicht auf weitere Herausforderungen:

  • Neutralität In manchen Situationen wird von Medienschaffenden erwartet, dass sie „neutral“ sind.  Am schlimmsten ist es, wenn jedes Thema so behandelt wird, als gäbe es zwei gleichwertige Seiten. Zum Beispiel: Der Klimawandel existiert und der Klimawandel existiert nicht.  Aus vermeintlicher journalistischer Seriosität veröffentlichen sie unter Umständen beide Aussagen, als wäre die eine so begründet wie die andere.
  • Medien als politische AkteureJournalismus kann hochpolitisch sein (und in einigen Situationen sogar gefährlicher als Aktivismus oder die Arbeit von Menschenrechtsanwältinnen und -anwälten). Manchmal müssen Aktivist*innen sich überlegen, ob ihr Thema für Reporter*innen so wichtig ist, dass sie mit ihrer Berichterstattung ein Risiko eingehen.  
  • Der Klimawandel ist weniger wichtig als unmittelbare politische Probleme – Das abstrakte Problem des Klimawandels wird angesichts aktueller politischer Konflikte vielleicht als nicht so wichtig erachtet – es sei denn, es steht in einem direkten Zusammenhang mit dem Leben der Menschen vor Ort.
  • Kritik an der Regierung Die Regierungspolitik infrage zu stellen, bedeutet mancherorts ein politisches Sicherheitsrisiko. Über Ansätze, die proaktiv und lösungsorientiert sind, wird hingegen eher berichtet. In so einem Zusammenhang kann es helfen, wenn Aktive sich dementsprechend positionieren statt nur als Kritiker*innen.
  • Die „Aktivisten”-SchubladeSogar in einem offeneren politischen Umfeld denken manche Menschen bei dem Wort „Aktivist*in“ an gedankenlose, blindwütige Aktionen, und selbst wohlmeinende Presseleute beschreiben Aktivistinnen und Aktivisten zuweilen, als hätten diese nicht viel Ahnung von ihrem Gebiet („Aktivisten behaupten heute, dass …“). Es ist wichtig, die Begründung einer aktuellen Kampagne oder Aktion klarzumachen, um nicht als „wütender Aktivist“ abgestempelt zu werden.