Traditionell stellt man sich Macht als eine Pyramide vor, wo die Macht von oben nachunten fließt. Ein Hauswart bekommt Anordnungen von einer Vorgesetzten, die ihre Anordnungen von einem Distriktverwalter erhält, usw. immer weiter hoch bis zu einer/einem Vorstandschef’in oder Staatschef*in auf der obersten Spitze der Pyramide. Wenn Macht so gesehen wird, dann passiert sozialer Wandel, wenn wir entweder die Menschen an der Spitze austauschen (z.B. durch Regimewechsel oder Wahlen) oder wenn es uns gelingt, die Menschen an der Spitze zu überzeugen, ihr Verhalten zu verändern (z.B. durch einen öffentlichen Aufschrei, der sie aufmerksam macht). Aber das ist keine basisdemokratische Sicht von Macht. Denn sie lässt die Macht in den Händen der Manager*innen von Ölfirmen, während der Rest von uns sie anfleht, das Richtige zu tun. Wir brauchen eine neue Art und Weise, Macht zu sehen. Die basisdemokratische Sicht ist, Macht als etwas zu betrachten, das nach oben fließt: als ein auf den Kopf gestelltes Dreieck.
Wenn Macht so gesehen wird, dann ist der Chef der Ölfirma oder die Staatschefin von Natur aus instabil. Wie bei einem umgedrehten Dreieck sind ungerechte Macht und Autorität instabil und werden fallen. Um das zu verhindern, verlassen sie sich auf Unterstützung, um sie aufrecht zu halten – wir nennen das die Säulen der Unterstützung.
Zum Beispiel hängen Chef*innen von Ölfirmen nicht nur von ihren Manager*innen ab, sondern auch von anderen Säulen der Unterstützung wie den Aktionär*innen der Firma, dem Sekretär, der ihren Terminkalender führt, der Technikerin, die ihre Handies und Emails am Laufen hält, den Reinigungskräften, die ihre Büros sauber machen, den LKW-Fahrer*innen und Schiffskapitän*innen, die ihr Öl transportieren, Schreiber*innen, die ihre Menschenrechtsverletzungen nicht untersuchen, Ingenieur*innen und Auftragnehmer*innen, die die Straßen bauen, auf denen die LKWs der Ölfirma fahren, Kund*innen, die ihr Produkt kaufen usw. Durch alle diese Handlungen geben sie den Ölfirmen Legitimität und stützen sie, was diesen erlaubt, ihre destruktive Praxis fortzusetzen.
Eine Kampagne aus den 1970er Jahren illustriert das. Die US-Regierung sandte Waffen an den pakistanischen Diktator Yahya Khan, die dafür verwendet wurden, die Menschen in Ost-Pakistan (heute Bangladesch) zu ermorden. In einem versuchten Genozid wurden fast drei Millionen Ost-Pakistanis getötet. Eine Gruppe von Quäker*innen aus den USA wollte das nicht still hinnehmen. Als sie herausfanden, dass einige der Waffenlieferungen von Hafenanlagen in ihrer Stadt aus verschifft wurden, wählten sie eine dramatische Aktion, um den Waffenfluss zu stoppen – eine Schiffsblockade! Einen Monat lang praktizierten sie öffentlich „Seemanöver“ in Kanus und Kajaks vor den Augen von Fernsehkameras. Einige Tage waren Themen gewidmet – religiöse Führungspersönlichkeiten, Kinder, Alte – alles in Vorbereitung auf die Ankunft der riesigen Frachtschiffe, die nach Pakistan fahren sollten. Als das erste Schiff ankam, sprang die Gruppe in ihre Kanus und Paddelboote. Die Küstenwache zerrte sie sofort heraus, während Fotograf*innen sich um die besten Bilder bemühten. In den folgenden Wochen spielten sie ein Katz-und-Maus-Spiel, während die Frachter versuchten, die Öffentlichkeit zu vermeiden, indem sie ihre Ankunftszeiten veränderten oder auf nahegelegene Häfen auswichen. Aber eine wichtige Gruppe Menschen beobachtete die sich entwickelnde Geschichte im Fernsehen – die Hafenarbeiter, deren Aufgabe es war, die Schiffe zu beladen.Die Quäker*innen gingen in die Bars und trafen sie. Die Arbeiter waren von ihrer Ernsthaftigkeit und dem Gefühl beeindruckt, dass dies ein historischer Moment war. Die lokale Gewerkschaft der Hafenarbeiter stimmte zu, sich zu weigern, Waffen nach Pakistan zu verladen. Das war der Anfang vom Ende.
Die lokalen Hafenarbeiter überzeugten die landesweite Gewerkschaft, jegliche militärische Ladung nach Pakistan zu verweigern. Als diese entscheidende Säule der Unterstützung entfernt war, konnte die Regierung keinen Hafen an der Ostküste mehr nutzen, um Waffen zu senden. Diese klassische Aktion zivilen Ungehorsams machte den Export der Waffen unbezahlbar. Kurz danach verkündete die US-Regierung, dass sie den Diktator nicht länger unterstützen werde. (Wenig überraschend, dass sie die Rolle der Aktivist*innen dabei unerwähnt ließ)1.
Ohne einen Schuss abzugeben oder einen einzigen Lobbybesuch durchzuführen, übte diese kleine Gruppe Zwang auf die Weltmacht USA aus. Das ist Macht.
Dies ist eine andere Sicht von „People Power“ als die, dass Menschen lediglich zusammenarbeiten, um Machthabende zu einer Veränderung ihres Verhaltens zu bringen. Stattdessen nutzte sie die spezifische Strategie der Überzeugung von Verbündeten, um Macht zu destabilisieren. Wenn wir unsere Ziele analysieren und dabei diese Sichtweise auf Macht anwenden, dann finden wir vielleicht neue Säulen, die wir aus dem System „entfernen“ können – und wir können auch besser analysieren, welche Quellen von Macht wir haben, welche Beziehung zu ihnen und wie wir sie angehen können, um Wandel zu erzwingen (Power Mapping – Matrix der Macht).
1 Richard K. Taylor, Blockade!: A Guide to NonViolent Intervention (Maryknoll, NY: Orbis Books, 1977).
Die Säulen der Unterstützung
Benutzt dies, um die Machtverhältnisse Eures Kampagnenziels zu analysieren.
1. Fangt an, indem Ihr Euer Ziel in das Zentrum eintragt.
2. Überlegt in einem Brainstorming, welche Säulen der Unterstützung es gibt. Wer unterstützt das Ziel? Selbst falls sie mit ihm nicht einverstanden sind (oder ihnen ihre Position egal ist), wer sind die Menschen, die die Anordnungen ausführen oder auf andere Weise diese Säulen aufrechterhalten? Seid dabei spezifisch bei der Nennung der Namen von Gewerkschaften, Medienkonzernen, Sekretär*innen usw.
3. Falls nötig, nehmt einige von ihnen und tragt sie in eigene umgedrehte Dreiecke mit eigenen Säulen der Unterstützung ein (siehe unten rechts).