Taktiken und Methoden des Campaigning

Es gibt viele Methoden, die Entscheidungsfindung über ein Anliegen zu beeinflussen. In diesem Abschnitt werden wir einige grundlegende Taktiken diskutieren, die ihr benutzen könnt, um Druck auf Zielpersonen auszuüben, eurem Kampagnenziel entgegenzukommen.

Stellt euch jede Taktik als ein Instrument in eurem Werkzeugkasten vor, den ihr habt, um Wandel zu erreichen. Ihr könnt sie auswählen, kombinieren und neue schaffen, jeweils abhängig davon, wer eure Zielgruppen sind und was ihre Interessen sein mögen. Beachtet, dass eine Diskussion über Taktiken immer erst dann kommen sollte, wenn ihr die Ziele der Kampagne festgelegt und eine Machtmatrix erstellt habt. So könnt ihr sicher sein, dass eure Taktiken dem eigentlichen Ziel eurer Kampagne dienen.

Zum Beispiel würde es wenig Sinn machen, euch an einen Baum zu ketten, wenn euer Ziel ist, nachhaltige Entwicklungshilfe für euer Dorf zu sichern, und eure Zielperson euer Finanzminister ist. Sofern er nicht irgendeine Verbindung zu Bäumen hat – oder diesem Baum im Besonderen – würde eure Taktik weder dem Ziel noch der Zielperson entsprechen.

Es ist genauso entscheidend, unsere eigene Kreativität zu erkennen und unsere Gruppen zu organisieren wie genug Geld aufzutreiben, um irgendeine große Aktion durchzuführen. Effektive Aktionen sollen Menschen dazu bringen, die gewohnten Denkschemata aufzugeben, und deshalb müssen sie ungewöhnlich sein. Unsere Welt verändert sich in einer halsbrecherischen Geschwindigkeit und als Aktivist*innen müssen wir ständig neue, innovative Taktiken entwickeln, um unsere Anliegen zu vermitteln und Macht von unten zu demonstrieren.

 

Was eine gute Taktik ausmacht:

  1. Sie beinhaltet eine Theorie des Wandels: Wenn … dann …
  2. Sie passt zu unserer Strategie.
  3. Sie hilft, Führungspersönlichkeiten und Fähigkeiten der Führung aufzubauen.
  4. Sie ist kreativ und macht Spaß!

Im Folgenden findet ihr eine Liste üblicher Taktiken, die ihr in eurer Gruppe verwenden könnt, um Wandel zu erreichen. Diese Liste soll euch aber nicht begrenzen – benutzt eure Vorstellungskraft und ihr werdet neue, spannende Taktiken finden.

Unterschriftensammlungen

Eine einfache Methode, eurem Anliegen Gehör zu verschaffen, ist, Unterstützer*innen eine Petition oder einen Aufruf zu einem bestimmten Thema unterschreiben zu lassen. Falls ihr z.B. daran arbeitet, den Stadtrat dazu zu bringen, ein Solardach auf eurer Schule anzubringen, dann könnte es hilfreich sein, wenn alle Schüler*innen und Lehrer*innen ein Statement unterschrieben. Zwei Schlüsselelemente einer Unterschriftensammlung sind die Zielperson (stellt sicher, dass ihr sie klar definiert habt) und die Form der Übergabe. Eine Unterschriftensammlung ohne eine öffentliche Übergabe ist so, als ob ihr einen Berg ersteigen, aber beschließen würdet, vor dem Gipfel umzukehren.

Stellt sicher, dass ihr eine öffentliche Übergabe einplant und dass die lokalen Medien über sie berichten. So wird jede*r, die/der unterschrieben hat, das Gefühl haben, dass ihre/seine Stimme gehört wurde. Und diejenigen, die von der Unterschriftensammlung nicht wussten, erfahren auf diese Weise von dem Anliegen.

Boykott

Ein Boykott ist eine sehr effektive Methode, Unternehmen oder Wirtschaftsbetriebe ins Visier zu nehmen, die den Weg vorwärts blockieren, entweder weil sie Ungerechtigkeit gegenüber den Menschen und der Erde begehen oder weil sie Gruppen oder Regierungsbehörden unterstützen, die dies tun. Boykotte können viele Formen annehmen, aber sie alle beinhalten, dass man Güter oder Dienste eines Unternehmens meidet und andere auffordert, das auch zu tun.Wenn ein*e Wirtschaftsführer*in es nicht für notwendig erachtet, ihr oder sein Verhalten zu einem Thema zu verändern, nachdem man sie/ihn mehrfach dazu aufgefordert hat, kann man dieses Unternehmen in seinem Kernbereich treffen. Boykotte sind gewöhnlich länger andauernde, öffentliche Aktionen und sind am effektivsten, wenn sie weit verbreitet und mit anderen Taktiken kombiniert werden.

Gute Medien, schlechte Medien

Die Nachrichtenmedien, sowohl die elektronischen wie diejenigen aus Papier, haben enormen Einfluss auf die Menschen, die von einer Sache betroffen sind und auf die allgemeine Öffentlichkeit. Ihr könnt Taktiken verwenden wie das Schreiben von Leser*innenbriefen und das Gestalten von Anzeigen und öffentlichen Veranstaltungsankündigungen im Radio, Fernsehen, Internet und Druckmedien. Ihr könnt die Medien dazu nutzen, Gegner*innen öffentlich bloßzustellen oder Partner*innen zu loben. Wir werden mehr über die effektive Nutzung von Medien in der Einheit „Das Wort verbreiten“ sprechen.

Das Nutzen von viralen Online- und Guerrilla-Medien kann ein einfaches Symbol oder einen Slogan in die Köpfe von Betroffenen und der allgemeinen Öffentlichkeit bringen. Wenn man z.B. die Zahl 350 an Stellen unterbringt, wo Menschen sie nicht erwarten oder ein ‚Meme‘ in elektronischen sozialen Netzwerken verbreitet, so können Entscheidungsfäller*innen und die Öffentlichkeit auf mehr unterschwellige Weisen beeinflusst werden.

Rundreisen und Fahrradtouren

Viele unserer Freund*innen und Partner*innen haben Rundreisen mit Wohnmobilen oder  Autos eingesetzt, um Aktionen gegen den Klimawandel bekannt zu machen und Medienberichte über Lösungen zu sammeln. Während solche Rundreisen relativ ressourcen-intensiv sind, können sie sich auch sehr lohnen. In Indien ist z.B. eine Gruppe von jungen Klimaaktivist*innen mit zwei Elektroautos von Dorf zu Dorf durch das ganze Land gefahren, um Klimawandel bekannt zu machen, Beispiele von lokalen Lösungen zu sammeln und ein Netzwerk von engagierten Unterstützer*innen an strategischen Orten aufzubauen. Man kann solch eine Tour in Autos, LKWs, mit dem Fahrrad oder sogar zu Fuß unternehmen!

Party / Konzert

Musik ist ein großer Teil unseres Lebens und hat in der Vergangenheit viel zum Geist sozialen Wandels beigetragen. Es ist schwer, sich die Bürgerrechtsbewegung ohne die Freiheitslieder vorzustellen, die halfen, den Menschen Mut und das Gefühl von Solidarität angesichts echter Brutalität zu geben. Aber Umweltschutz war nie eine besonders musikalische Bewegung. Sie tendiert dazu, sehr rational zu sein, vielleicht mehr Statistiken einzusetzen als sie sollte, und seltener Gitarren oder Trommeln zu verwenden. Ein Konzert wird eure Kern-Zuhörer*innenschaft unterhalten, Passant*innen anziehen und Musiker*innen zur Beteiligung gewinnen. Oft sind drei oder vier Lieder, die zwischen Redner*innen oder Aktivitäten eingestreut werden, genug für eine Veranstaltung. Und vergesst nicht, hinterher den Musiker*innen Dankes-Karten zu schicken – sie haben euch (hoffentlich) umsonst gegeben, wofür sie sonst bezahlt werden.

Demonstrationen / Märsche

Sie sind unser Brot und Butter. Das Team hinter 350.org hat hunderte von Demos und Märschen organisiert und an ihnen teilgenommen. Warum? Weil sie Spaß machen, einfach und oft die effektivste Art und Weise sind, um Menschen vom kleinsten Dorf bis zur größten Stadt zu beteiligen. Sie können ein Fest und Spaß für die ganze Familie sein und immer noch Medienberichte auslösen und Element öffentlichen Drucks werden. Demos und Märsche können, wenn man sie richtig organisiert, eine Bewegung ins Licht der Öffentlichkeit bringen, die zuvor auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene unsichtbar gewesen ist. Sie können auch Energie geben und die Moral stärken, die eure Gruppe braucht, um die harte Arbeit, das Problem des Klimawandels zu lösen, fortzusetzen.

Bildungsarbeit

Ein großer Teil eurer Arbeit als Klimaschützer*innen ist es, die Öffentlichkeit und eure gewählten Vertreter*innen über Klimawandel und wie er mit Eurer Gemeinschaft zusammenhängt, aufzuklären. Einen Vortrag zu halten oder ein Teach-In zu organisieren kann an manchen Orten der Welt richtig radikal sein. Fakten sind oft unsere besten Freunde in dem Kampf, den Klimawandel zu stoppen. Aber stellt sicher, dass ihr euch sprachlich auf das Niveau der Menschen begebt, mit denen ihr redet. Wenn ihr zu wenig erzählt, werdet ihr euren Punkt nicht vermitteln; wenn ihr zu technisch redet, werden die Augen der Teilnehmer*innen glasig werden, bevor ihr „350“ sagen könnt.

Prominente dazu bringen, eure Forderungen zu wiederzugeben

Manchmal braucht es den richtigen Boten, um euer Anliegen auf den Teller des Entscheiders oder der Entscheiderin zu bringen. Das ist der Grund, warum sich so viele Lobbyorganisationen an Leute wie Bono und Angelina Jolie wenden, damit diese über das Anliegen und die angestrebten Lösungen sprechen. Ihr müsst keinen Film- oder Rockstar gewinnen, aber ein paar einflussreiche Leute in eurer Umgebung bereitstehen zu haben, ist eine nützliche Taktik, da Menschen dazu neigen, eher jenen zuzuhören, die sie kennen und denen sie vertrauen.

Lobbyarbeit

Lobbyarbeit, manchmal ein entmutigender Begriff, bedeutet nichts anderes, als sich mit einer*einem gewählten Vertreter*in zusammenzusetzen und ihn oder sie zu bitten, eure Anliegen zu berücksichtigen. Es ist reicht einfach, ein Treffen mit einer*einem Politiker*in oder Beamt*in zu arrangieren. Stellt sicher, dass ihr euch kurz haltet, zur Sache sprecht, und eine solide, machbare ‚Bitte‘ habt, die er oder sie aufgreifen kann. Es ist gut, mit einer*einem Partner*in oder in einer kleinen Gruppe zu gehen, aber vermeidet es, Drohungen auszusprechen oder zu wütend zu werden. Bleibt positiv, aber fest in der Sache, die ihr erreichen wollt. (Für mehr Infos zu diesem Thema lest unser Paper darüber, wie man gewählte Vertreter*innen anspricht.)

Spektakuläre Aktionen

Manchmal muss man die Dinge ein bisschen würzen, um Aufmerksamkeit zu bekommen, und ihr müsst neue Wege finden, euer Anliegen einem breiteren Publikum nahezubringen. Bei spektakulären Aktionen geht es darum, Aufmerksamkeit zu bekommen, z.B. durch Theater oder eine direkte Aktion. Die besten Aktionen benutzen oft ein bisschen Humor oder einen Touch des Absurden – zum Beispiel mit Puppen, Straßentheater, Kostümen, Flash Mobs oder Requisiten.

Ein paar Beispiele: 350.org und unsere Partner*innen haben eine große Straßentheater-Aktion gemacht, mit großen, 6 Meter hohen Puppen von Politiker*innen mit Geldsäcken, um Aufmerksamkeit auf die schmutzige Arbeit der US Handelskammer zu lenken. Eine Gewerkschaft veranstaltete einen großen Flash Mob auf dem Kapitol, wo alle Teilnehmer*innen Lieder über faire Löhne sangen. Greenpeace brach in ein Kohlekraftwerk ein, erstieg die Halden und malte „Gebt Kohle auf“ auf die Wand eines städtischen Kohlekraftwerks. Dies sind alles Beispiele für spektakuläre Aktionen.

Direkte Aktion und ziviler Ungehorsam

Direkte Aktion ist eine Methode, außerhalb der normalen sozialen und politischen Kanäle zu handeln. Direkte Aktion sollte immer gewaltfrei sein und richtet sich gewöhnlich gegen Menschen, Gruppen oder Sachen, die das Anliegen charakterisieren. Ziviler Ungehorsam ist die aktive Weigerung, bestimmten Gesetzen, Forderungen und Befehlen einer Regierung oder einer Besatzungsmacht zu gehorchen, ohne physische Gewalt anzuwenden.

Wenn ein*e Klimaaktivist*in von dem Schornstein eines Kohlekraftwerks ein Banner herunterhängt oder ein Regierungsgebäude besetzt, ist das eine direkte Aktion. Wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft wurden, dann kann manchmal direkte Aktion dazu eingesetzt werden, Druck auf eine Zielperson auszuüben.

Direkte Aktion und ziviler Ungehorsam sollten immer gewaltfrei sein, um dem Gegner zu zeigen, dass wir bereit sind, die Gegensätze zu versöhnen, sobald ihm klar wird, dass er moralisch im Unrecht ist. Wenn eure Gruppe direkte Aktionen überlegt, stellt sicher, dass ihr alle anderen Optionen ausgeschöpft habt, dass ihr evaluiert habt, was die Ergebnisse sein könnten, dass ihr das Risiko akzeptiert und dass ihr rechtzeitig logistische Vorkehrungen für jede Eventualität getroffen habt. Direkte Aktion sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

Direkte Aktion und ziviler Ungehorsam werden auch oft als „Eskalationstaktiken“ diskutiert, da sie generell ein größeres Risiko und mehr Konsequenzen mit sich bringen. Aber sie werden oft auch als eine Strategie für sich angesehen. Bestimmte Akte von gewaltfreiem zivilem Ungehorsam können nützliche Taktiken im Rahmen einer größeren Kampagne sein, aber in manchen Fällen kann ziviler Ungehorsam auch die Essenz einer Kampagne sein, eine vollständige Strategie des Widerstands gegen ein Unrecht.

Kreative Taktiken

Bleibt nicht dabei stehen, die gleiche Taktik wieder und wieder einzusetzen – sie wird für euch langweilig werden, weniger interessant für die Teilnehmer*innen und politisch weniger wirksam. Es gibt eine Unzahl kreativer Taktiken, die ihr nutzen könnt, von einer Flottille auf dem Fluss vor Ort über den Aufbau einer aktivistischen Kunstinstallation bis hin zu Straßentheater, Mahnwachen oder Gottesdiensten oder irgendeiner anderen Form der öffentlichen Aktion. Erfindet selbst eine neue!